Von Oehmke, Philipp
Mitten in der Kapitalismuskrise entdeckt die Subkultur den Kommunismus neu. Ihr Star ist der slowenische Philosoph Slavoj #381 i#382 ek, der Marxismus mit Pop und Psychoanalyse mischt. Seine Auftritte bieten Stand-up-Comedy für eine linksradikale Avantgarde. Von Philipp Oehmke
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Ein Wochenende Ende Juni in der Berliner Volksbühne, und die Big Three, die großen Denker der neuen Linken, sind angekündigt: Antonio Negri, Italiener, Ende siebzig, ein ehemaliger politischer Häftling, Autor von "Empire", dem bekanntesten neomarxistischen Bestseller der vergangenen zehn Jahre; Alain Badiou, Philosophieprofessor in Paris, Anfang siebzig, sehr abstrakt, Maoist und Universalist, sucht eine neue "kommunistische Hypothese"; Slavoj Žižek, Slowene, Psychoanalytiker, Philosophieprofessor in Ljubljana, Gastprofessor in Saas Fe und London, Anfang sechzig, der "Elvis der Kulturtheorie" (so der Untertitel eines Films über ihn). Oder: "Der gefährlichste Philosoph des Westens". Einer seiner erbittertsten Gegner hat ihn so genannt. Es war nicht als Kompliment gemeint, gerade deswegen gefällt es Žižek.
Die drei sind Intellektuelle, aber sie sind auch Stars, wie früher Sartre und Camus, die Existentialisten, oder zuletzt Foucault, Deleuze oder Derrida, die Poststrukturalisten, alles Franzosen. Aber seit deren Hochphase, also seit bald 20 Jahren, war diese Planstelle des Pop-Philosophen unbesetzt, sieht man einmal von Bernard Hénri-Levy ab, den Žižek vor allem deswegen verabscheut, weil er immer so viel Brusthaar zeigt.
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Dabei sind die meisten Wortbeiträge schon in ihrer Originalsprache kaum zu verstehen. Simultan übersetzt werden sie zu sinnfreier Lyrik. Aber es soll hier nicht um einfache, um konkrete Antworten gehen, die gibt es bei der Linkspartei oder den Gewerkschaften. Genauso wenig soll es um einen Blick zurück in die Geschichte gehen, zurück in das düstere 20. Jahrhundert, zu seinen Katastrophen, die im Namen des Kommunismus geschehen sind, zu seinen Opfern, zu den mehr als 30 Millionen Ermordeten, zu Stalin, zu Pol Pot, den Arbeitslagern, der Überwachung. Nein, es soll hier um Theorie gehen, um eine neue "kommunistische Hypothese", wie Badiou es nennt, um Universalismus, das Subjekt in der Geschichte, Wahrheitsereignisse, um Hegel und um Psychoanalyse nach Jacques Lacan.
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20 Jahre nach dem vorläufigen Ende des kommunistischen Experiments und genau 21 Monate nach dem Fastkollaps des kapitalistischen Status quo gibt es offenbar eine Sehnsucht: nicht nach linker Politik, sondern nach linker Theorie. Je drängender die praktischen Probleme, je müder unsere Demokratie, je kaputter der Euro, je schlechter die Koalition, je unkontrollierbarer die Banken - desto abstrakter die Suche nach Wahrheit, desto interessanter die Philosophie.
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Sein Repertoire ist ein Mix aus der Psychoanalyse des obskuren Jacques Lacan und der Idealismusphilosophie Hegels, aus Filmanalyse, Demokratie-, Kapitalismus- und Ideologiekritik und einem manchmal autoritärem Marxismus gepaart mit Alltagsbeobachtungen. Er erklärt das ontologische Wesen der Deutschen, Franzosen und Amerikaner anhand ihrer Toiletten und dem daraus abzuleitendem Verhältnis zu ihren Fäkalien und reagiert auf Kritik zunächst mit einem fröhlichen "Fuck you!", ausgerufen in harten slawischen Konsonanten. Kollegen, die er schätzt, aber eine andere Lehre vertreten, teilt er mit, sie könnten sich darauf einrichten, in den Gulag zu gehen, sollte er, Žižek, bald an der Macht sein. Žižek mag den Schauder, den das Wort Gulag ausstrahlt.
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Žižek liebt es, Sichtweisen zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn eigentlich das Gegenteil als richtig gilt, kontraintuitive Beobachtungen nennt er das. Seine liebste Denkform ist die des Paradoxons, mit Hilfe seines psychoanalytischen Rüstzeugs versucht er nachzuweisen, wie die liberale Demokratie die Menschen manipuliert. Eine seiner berühmten Alltagsbeobachtungen dazu betrifft die Tür-zu-Knöpfe in Fahrstühlen. Er hat herausgefunden, dass sie Placebos sind. Die Türen schließen keine Sekunde schneller, wenn man den Knopf drückt, aber das müssen sie auch nicht. Es reicht, dass der Drückende die Illusion hat, er könnte etwas beeinflussen: Genauso, sagt Žižek, funktioniere auch die politische Illusionsmaschine, die sich westliche Demokratie nennt.
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Es ist schon der zweite Tag des Kongresses, bis hierhin musste er sich mit Zwischenfragen über Wasser halten. Er greift sofort Antonio Negri an, der am Vortag Badiou und ihm vorgeworfen hatte, sie vernachlässigten den Klassenkampf. Negris Theorie von der "Multitude", also seine Idee eines revolutionären Subjekts, das in der Unterschiedlichkeit der Einzelnen das Gemeinsame sieht, geht davon aus, dass der Spätkapitalismus sich selbst abschaffe und allein dadurch eine revolutionäre Situation entstehe. Žižek und Badiou ist das viel zu konkret und realpolitisch. Žižek bewaffnet sich mit Hegels Totalitätsbegriff, mit Platons Wahrheitsbegriff und Heideggers Ereignisbegriff. Man müsse außerhalb des Staates stehen, um ihn abzuschaffen, Negri aber bleibe innerhalb des Systems, deshalb könne seine Multitude niemals eine Revolution in Gang setzen.
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Warum pessimistisch? Es ist ja tatsächlich nicht abwegig anzunehmen, dass Kapitalismus und Demokratie an einen toten Punkt gekommen sind. "Das stimmt", sagt Žižek, "aber ich glaube, dass die Linke auf tragische Weise bar jeder ernstzunehmenden Vision ist. Wir alle wünschen uns eine richtige authentische Revolution! Aber sie muss weit weg stattfinden, am besten in Kuba, in Vietnam, China, Nicaragua. Das hat nämlich den Vorteil, dass wir hier unsere Karrieren weiterführen können." Dann muss er ins Hotel, die Diabetes, man wisse doch.
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Žižek sagt, die Revolution funktioniere nie ohne eine Obrigkeit, ohne Lenkung. Das sei schon bei der Französischen Revolution und den Jakobinern so gewesen.